Donnerstag, 27. April 2017

Zwischen Systemverwaltung und Rebellion- Kampf um Knastreformen am Beispiel des US Gefängnisstreik





Der US Gefängnisstreik vom September 2016 zeigte
die vielen Möglichkeiten, die aus einer konsistenten Beziehungen
zwischen Gefangenen, einer Koordinierung
unter Unterstützern von außerhalb und den Aktionen
von gefangenen Gefährten entstehen können.
 Nachdem ich die Zeit hatte zu reflektieren, 
fühlt es sich für mich wichtig an, zu formulieren,
 was nicht funktioniert hat:
Welche Hindernisse in den Weg der Revolte und ihrer
vielen Formen gelegt wurden.


 Der Artikel von Michael
Kimble teilt die Erfahrung, wie sich das im Holman-Gefängnis,
eines der Zentren des Streiks, ausgewirkt hat,
wo die gefangenen Rebellen Krawall gemacht, Feuer
gelegt, Wärter abgestochen und sogar eine Wachtel
getötet haben. Als jemand, der von der anderen Seite
– ein Anarchist, von außerhalb der Gitterstäbe, der
mit den anarchistischen Gefährten drinnen kollaboriert
hat – in den Streik involviert war, will ich eine weitere
Ebene zu der Kritik von Michael hinzufügen, eine, die
auf die wachsende Tendenz von dem abzielt, was ich als
„Gefangenenunterstützer“[1] bezeichnen will.




Es gibt viele Leute, die mit Gefangenen aus vielen verschiedenen
Gründen kollaborieren: Unter anderen Familien
und Freunde, die ihre Geliebten unterstützen,
Maoisten, die versuchen neue Anhänger zu finden, karitative
Individuen und religiöse Institutionen, die versuchen
die Fehlgeleiteten zu „retten“, Organisatoren, die darauf hoffen die Gefängnisse durch  legislative Kampagnen abzuschaffen ... und Anarchisten, die Affinität mit
jenen finden, die hinter Gitter revoltieren

Auf was ich mich hier fokussieren will,  sind die Organisatoren und
 die Aktivisten –die generell in formalen Organisationen
arbeiten – und die Tendenzen in diesen Gruppen,
die den Streik und die Solidarität hin zu Führerschaft,
Gewaltlosigkeit und Reform geführt haben.


Folgt dem Führer
Zentral für den Mythos des Gefängnisstreiks war seine
Erschaffung durch die sogenannten Anführer des
Gefängniskampfes. Diese „Anführer“ waren, im Gegenteil
zu den Lügenmärchen der Unterstützer von außerhalb,
einfach bestimmte Individuen, die Aktivisten
von außerhalb sich ausgesucht haben, um sie als „Repräsentanten“
der fortlaufenden Revolten zu beschwören.
Wenn man sich das näher ansieht, ist klar, wieso
diese bestimmten Individuen ausgewählt wurden: Sie
bestärkten die eigenen Strategien der Unterstützer von
Reform, Respektabilität und der Gewaltfreiheit. Durch
das Auswählen einzelner Individuen, die mit ihnen
übereinstimmten und ihrer Erhöhung zu Sprechern des
Kampfes, in seiner Gesamtheit, waren diese Aktivisten
dazu fähig, ihre eigenen Strategien als „von den Gefangenen
kommend“ zu legitimieren.

Dieser Neigung hin zur Führerschaft wurde am offensichtlichsten,
wenn diese Positionen in Frage gestellt
wurden. Zahllose Male im Vorfeld des Streiks wurden
Kritiken der Ideologie der Gewaltlosigkeit, die von der
(in)formellen Führerschaft vorangetrieben wurde, von
jener ignoriert, da die Agenda der Gewaltlosigkeit von
„den Gefangenen käme“ und es „schlechte Sicherheit“
sei, zu fragen, wieso ein öffentliches Statement die Erwähnung
von Gewaltlosigkeit beinhalten muss.

Was die Aktivisten einheitlich ignorierten, waren die Stimmen
von kämpferischen Gefangenen (wie Michael Kimble),
die explizit die Sprache von Respektabilität und Reform
kritisierten. In ihrer verzerrten Verehrung der Gefangenenanführer,
die sie selbst ernannt hatten, verdrehten
und marginalisierten die Aktivisten die rebellischen
Akte der Gefangenen, die nicht mit ihnen übereinstimmten.
In der Realität wurde der Streik von hunderten
wenn nicht tausenden Individuen vorangetrieben, von
denen die meisten keinerlei Verbindungen zu einer Organisationen
hatten und die einfach von ihrem eigenen
Verlangen zurückzuschlagen, gegen das was sie unterdrückt
und ausbeutet, ausgingen. Wenn formelle Organisationen
außerhalb der Mauern das nicht sehen können,
liegt das an ihrem Fetisch für formelle Organisationen,
der nichts außer Führer und Gefolgschaft kennt.





Unterstützer, keine Komplizen
Viele dieser Aktivisten haben für sich selbst einen neuen
Kampfschauplatz gefunden: als Vollzeitgefangenenunterstützer.
Während dem Streik wurde von vielen Organisatoren
betont, dass es die Rolle der „Unterstützer
von außen“ sei, daran zu arbeiten, die Repression für
die drinnen zu verringern. Ohne die Wichtigkeit von
Call-Ins[2], dem Verbreiten von Informationen, etc.
herunterspielen zu wollen, muss dies als das kritisiert
werden, was es ist: eine Verweigerung tatsächlicher Solidarität.

 Alfredo Cospito schreibt:
 „Es gibt zwei Typen der Solidarität. Eine passive, die all zu oft dazu dient das
schlechte Gewissen, für die eigenen Inaktivität wegzuwaschen
und die nicht die Lücke zwischen Wörtern
und Taten überbrückt. 
Und dann, die aktive,
konkrete, reale Solidarität, die manche als revolutionäre
bezeichnen, die in der Stille und Anonymität
erschaffen wird, wo einzig destruktive Aktionen
sprechen, sogar durch die Worte, die danach folgen.“

Der Unterschied zwischen diesen zwei Formen der
Solidarität ist von entscheidender Wichtigkeit für
den anarchistischen Kampf. Zu sagen, dass es unsere
Hauptpriorität ist, jene zu unterstützen, die Aktionen im
Gefängnis machen, nimmt uns jede Verantwortung ab,
selbst zu kämpfen. Die Absurdität jene zu motivieren zu
revoltieren, die sich in sehr restriktiven Umgebungen
wiederfinden (und zweifellos mit harschen Konsequenzen
für minimale Verstöße konfrontiert sein werden),
während wir selbst nichts tun, um kämpferisch zu agieren,
ist verblüffend. Es ist Feigheit, außerhalb eines von
Gefängnisarbeit profitierenden Geschäfts zu stehen und
nett Schilder hochzuhalten, während Gefährten für Angriffe
in der Isolation sitzen.




Als Anarchisten suchen wir nicht nach „unterdrückten
Leuten“, deren „Unterstützer“ wir werden können. Wir
suchen jene, mit denen wir Affinität im Kampf teilen.
Diese Beziehung ist keine von Anführer und Gefolge,
angeführt von den „am meisten Unterdrückten“, die
ihre empathischen Unterstützer anführen, sondern eine
Beziehung von aktiver Komplizenschaft. Diese Komplizenschaft
beinhaltet einen gemeinsamen Einsatz von
Sorge und Risiko. Es ist nicht mein Ziel lediglich die
Revolte von jemand anderem zu unterstützen, sondern
für mich selbst nach den Mitteln zu greifen, um diese
Gefängniswelt anzugreifen, so wie sie existiert, in meinem
alltäglichen Leben. Jene, die nach Beziehungen von
Beherrschung und Unterwerfung suchen, werden nur
jene vorfinden. Für den Rest von uns wartet der unbekannte
Pfad der Affinität.

Der neue Pazifismus

Jene, die Leute im Gefängnis dazu ermutigen zu revoltieren,
wissen, dass Gefangene sich mit brutaler
Repression konfrontiert sehen, wenn sie aus der Reihe
tanzen. Anstatt dies als einen Antrieb zu verstehen,
um ihre relative Freiheit zu nutzen, um das Gefängnis
von außen anzugreifen, verwenden Aktivisten dies als
eine Erpressung gegen jeden, der die Gewaltlosigkeit
kritisiert. Die Logik geht wie folgt, weil Gefangene mit
Repression konfrontiert sein werden, müssen sie das
Prinzip der Gewaltlosigkeit befolgen. Im Vorfeld des
Gefängnisstreiks wurde die potentielle Repression gegen
die einsperrten Gefährten wiederholt dazu genutzt
Kritiken, sowohl von drinnen wie draußen, an öffentlichen
Statements, die Gewaltlosigkeit unterstützten, zu
verhindern.

Die pazifistische Ideologie erreichte neue Ausmaße der
Frevelhaftigkeit, als Anführer der Free Alabama Movement
die Bürokraten des Holman-Gefängnisses dafür
kritisierten, dass sie „gewalttätige Angreifer (offender)“[
3] und „soziophatische homosexuelle Täter“[4]
aus der Einzelhaft entließen und forderten, dass das
Gefängnis mehr Wächter einstellt.

Um es klarzustellen:
Viele, die sich in der Einzelhaft fanden, waren dort, weil
sie an Krawallen und Rebellionen während der vorangegangenen
Monate teilgenommen hatten. Unverhohlene
Homophobie, Bedenken um die Sicherheit der Wachteln
entgegen der Unterstützung der Rebellen, die mit
Repression konfrontiert sind und Denunziation jener,
die gewaltsame Aktionen ausgeführt haben, sind widerlich
und eine natürliche Folge der unkritischen Unterstützung
von „Gefängnisanführern“ – besonders jener
Führerschaft, die ideologischen Pazifismus verbreitet.

Was auch immer die sogenannten Anführer auf dieser
oder jener Seite der Mauer sagen, Gefangene scheren
sich nicht um Gewaltlosigkeit. Die Feuer, die Messerstechereien
und der Widerstand drinnen und die Angriffe
auf das Eigentum draußen, zeigen, trotz des dogmatischen
Pazifismus der Anführer, dass die Revolte gegen
das Gefängnis zerstörerisch und unkontrollierbar bleibt.





Abschaffen oder Zerstören?

Es ist nicht genug „Gefängnisse abzuschaffen“. Der
Schachzug die Gefängnisrebellion in Richtung von Zielen
zu lenken, wie einer Untersuchung der Gefängnisbedingungen
durch das Department of Justice, die Liberale
ansprechen und legislative Reformen, werden nichts
ändern, außer, dass sie ein neues heimtückischeres Regime
der Macht schaffen. Es ist nur durch die selbstorganisierte
Attacke – ohne der Zwischenschaltung einer
Führerschaft und ohne das Zerschlagen unserer Leidenschaft
frei zu sein, durch das Gewicht der vor Schuld
triefenden Unterstützerpolitik – dass wir die Gefängnisse
zerstören werden.
 Dem von der Führerschaft und
den Aktivisten vorangetriebenen (und logischerweise,
durch die kapitalistischen Medien aufgegriffenem) Narrativ
zum Trotz, verlief der Gefängnisstreik außerhalb
der Kontrolle jedweder Organisation oder Anführer,
jenseits des Pazifismus und der Reform.
Als Anarchisten im Gefängnis und Anarchisten außerhalb
des Gefängnisses, werden wir damit fortfahren den
Feind wo und wann immer es möglich ist anzugreifen.


Jenseits der Abschaffung: Zerstörung jetzt!



[1] A.d.Ü.: Das in der englischen Version gebrauchte
„allie“ und „supporter“, wird hier synonym mit Unterstützer
übersetzt.
[2] A.d.Ü.: „Call-Ins“ sind eine aktivistische Praxis, bei
der bei Institutionen und Verantwortlichen angerufen
wird, um Druck aufzubauen.
[3] https://freealabamamovement.wordpress.
com/2016/09/17/press-release-2/
[4] https://freealabamamovement.wordpress.
com/2016/09/18/a-threat-to-violence/

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siehe auch: Von negativen und anderen Reformen  http://radiochiflada.blogspot.com/2017/02/gefangenengewerkschaft-auch.html


aus: AVALANCE , März 2017